Newsletter Oktober 2025

Leben mit Assistenz in einer Wohngruppe der besonderen Wohnform

Leben mit Assistenz in einer Wohngruppe der besonderen Wohnform

Am 28. Juni 2025 fand in den Rotenburger Werken die Sitzung der Angehörigenvertretung statt. Im Mittelpunkt stand das Thema „Leben mit Assistenz in einer Wohngruppe der besonderen Wohnform“. Es wurden die wichtigsten rechtlichen Grundlagen und deren praktische Bedeutung für das Leben und Arbeiten in den Wohngruppen vorgestellt.

Vom Fürsorgesystem zur Teilhabe

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) hat die Eingliederungshilfe grundlegend verändert. Es markiert den Übergang von einem fürsorgerischen System zu einem modernen Recht auf Teilhabe. Im Mittelpunkt stehen nun die Selbstbestimmung und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung. Damit setzt Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) konsequent um.

Die Reform bedeutet einen Paradigmenwechsel:

Von der Fremd- zur Selbstbestimmung, von der Einrichtungs- zur Personenzentrierung und von der Defizit- zur Ressourcenorientierung. Nicht mehr das „Versorgt werden“ steht im Vordergrund, sondern die aktive Gestaltung eines individuellen Lebens.

Der gesetzliche Auftrag ist in § 90 SGB IX beschrieben:

„Leistungsberechtigten ist eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern.“

Damit wird deutlich: Teilhabe ist ein Recht, kein Gnadenakt. Menschen mit Behinderung sollen ihre Lebensplanung und Lebensführung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich gestalten können.

Umsetzung in Niedersachsen und neue rechtliche Grundlagen

In Niedersachsen erfolgt die Bedarfsermittlung nach dem Instrument B.E.Ni (Bedarfsermittlung Niedersachsen). Dieses Verfahren stellt sicher, dass der individuelle Unterstützungsbedarf transparent und gemeinsam mit der betroffenen Person ermittelt wird. Die Menschen beschreiben ihre Lebenssituation, Ziele und Wünsche; Fachkräfte begleiten beratend. Damit wird das Wunsch- und Wahlrecht konkret umgesetzt – Teilhabe wird planbar und überprüfbar.

Auch das Betreuungsrecht wurde zum 1. Januar 2023 umfassend reformiert. Es orientiert sich an der UN-BRK und stellt die Unterstützung in den Mittelpunkt. Nicht mehr der Betreuer entscheidet über die betreute Person, sondern unterstützt sie bei der Ausübung ihrer eigenen Rechts- und Handlungsfähigkeit.

Der neue rechtliche Grundsatz (§ 1821 BGB) lautet:

„Die Unterstützung hat Vorrang vor der Stellvertretung. Der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, dass dieser im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Leben nach seinen Wünschen gestalten kann.“

Damit wird der Wille der betreuten Person zur Richtschnur für jedes Handeln. Die Betreuung erfolgt persönlich und mit regelmäßigem Kontakt – stets mit dem Ziel, die Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit zu fördern.

Einwilligungsfähigkeit und Zusammenarbeit in der Praxis

Ein zentrales Thema im Alltag von Wohneinrichtungen ist die Einwilligungsfähigkeit. Grundsätzlich gilt jeder erwachsene Mensch als einwilligungsfähig, solange nicht das Gegenteil festgestellt wurde. Einwilligungsfähigkeit bedeutet

a) die Bedeutung und Tragweite einer Entscheidung zu verstehen (Einsichtsfähigkeit), und

b) eine eigene Entscheidung treffen und danach handeln zu können (Steuerungsfähigkeit).

Die ärztliche Aufklärung richtet sich deshalb immer an die betroffene Person selbst. Der rechtliche Betreuer unterstützt dabei, Entscheidungen zu verstehen und umzusetzen, übernimmt sie aber nicht automatisch.

Für die Rotenburger Werke und die rechtlichen Betreuer*innen gilt:

Beide Seiten haben den gemeinsamen Auftrag, Menschen zu befähigen, ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu führen. Es geht nicht um Kontrolle oder Erziehung, sondern um Assistenz zur Selbstbestimmung.Dabei wird auch das „Recht auf Krankheit und unangepasstes Leben“ respektiert – denn Selbstbestimmung schließt das Recht ein, eigene Entscheidungen zu treffen, auch wenn andere sie nicht teilen.

Fazit

Die Sitzung der Angehörigenvertretung verdeutlichte, wie eng rechtliche Grundlagen, Assistenzleistungen und persönliche Teilhabe miteinander verknüpft sind. Das Bundesteilhabegesetz, das reformierte Betreuungsrecht und Verfahren wie B.E.Ni schaffen den Rahmen, um Selbstbestimmung nicht nur zu fordern, sondern auch praktisch zu ermöglichen.

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Elmar Erber

Oktober 2025

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